hatte jemand von euch schon mal das Gefühl, es an einem Ort nicht mehr aushalten zu können...egal, wie sehr man sich bemüht?
Amy hielt es nicht mehr aus. Sie musste raus, weg
von hier. Am besten in eine Großstadt. Sie wollten niemanden von ihnen mehr wieder
sehen, abgesehen von ihrer besten Freundin vielleicht. Es war früher Abend, als
sie ihre Tasche packte.
In etwa einer Stunde wollte sie mit dem Zug von ihrem
kleinen, beschaulichen Dorf in die Großstadt fahren. Nun war endlich der Tag
gekommen und sie konnte sich nicht einmal von jemandem verabschieden, Tina
ausgenommen.
Ihre beste Freundin war die Einzige gewesen, der sie sich
anvertraut hatte. Diese war zwar nicht gerade begeistert davon gewesen, aber
sie wusste, dass Amy das Dorf hasste. Also hatte Tine es für sich behalten und
sich sogar ein wenig für Amy gefreut, auch wenn sie ahnte, dass sie ihre
Freundin schrecklich vermissen würde.
Es hatte kaum einen Tag gegeben, an dem
sie sich nicht gesehen hatten, weil man sich hier unweigerlich andauernd über
den Weg läuft.
Und auch das war es, was
Amy nicht mehr aushielt. Sie wollte nicht mehr Tag ein, Tag aus dieselben Leute
sehen, die sie seit 21 Jahren kannte. Es war an der Zeit neue Wege
einzuschlagen.
Doch wenn es nach ihren Eltern ging, wäre sie nie wirklich hier raus gekommen. Als Amy aufs
Internat wollte, ließen ihre Eltern sie nicht. Als sie in der 11. Klasse ein
Auslandsjahr machen wollte, ließen ihre Eltern sie nicht und als sie nach dem
Abschluss um die Welt reisen wollten, von ihrem eigenen Geld, ließen ihre
Eltern sie nicht. Deswegen hatte sie ihr Leben lang gerade einmal die
umliegenden Städte gesehen und das war es.
Doch dann war sie auf die
Internetseite des Oxford Colleges gestoßen, welches auch vollbezahlte
Stipendien anbot, wenn man zwar das Wissen hatte, aber sich die
Eliteuniversität nicht leisten konnte. Amy erinnerte sich immer noch genau an dem
Tag, als sie ihre Bewerbung für ein Stipendium losschickte. Sie war so
aufgeregt gewesen. Und dann, einen halben Monat später, kam die Zusage.
Noch
nie war sie so glücklich gewesen, endlich konnte sie weg von hier, in die Welt.
Ihre Eltern würden ihr zwar etwas fehlen, aber deswegen würde sie nicht zurück
kommen.
Am nächsten Montag würde das Semester beginnen und als Amy an diesem
Abend zum Bahnhof lief, spürte sie, wie eine große Last von ihren Schultern
fiel. Sie war frei. Das Gefühl der Erdrückung und der Einengung war weg. Für
einen Moment war sie einfach glücklich.
Doch dann prasselte die Wirklichkeit
wieder auf sie nieder und sie bekam ein schlechtes Gewissen, weil sie sich
nicht verabschiedet hatte, besonders nicht von ihrem großen Bruder Luke. Für
einen Augenblick überlegte sie noch einmal zurück zu gehen und ihm auf
Wiedersehen zu sagen, aber sie entschied sich dagegen. Er würde damit leben
müssen. Und für sie war es an der Zeit loszulassen, wirklich loszulassen.
Inzwischen war sie am Fahrkartenschalter angekommen. Sie kauft sich eine Karte.
Der Mann dahinter lächelte sie freundlich an.
„Hallo, Amy, wohin geht’s denn?“,
fragte er.
„Einmal nach Oxford bitte.“
Er blickte Amy erstaunt an. „Das ist
aber weit weg.“
„Hmm.“, antwortete sie nur, bezahlte das Ticket und ging zum
Bahnsteig.
In nicht mal mehr zehn Minuten kam der Zug und langsam fingen Amys
Knie an zu zittern, aber nicht vor Angst, sondern vor Aufregung. Dann, nach
einer gefühlten Ewigkeit, kam der Zug. Voller Freude setzte sie den ersten Schritt
hinein, als sie plötzlich jemand am Arm festhielt.
„Bitte warte noch.“, es war
ihr Bruder. Er hatte sich noch nie so traurig und verloren gefühlt, da seine
Schwester ohne ein Wort abhauen wollte. Wieso hatte sie ihm nichts davon
erzählt? Er hätte sie doch verstanden. „Bitte, Amy, es ist okay, wenn du gehen
willst. Aber du solltest dich wenigstens noch von uns allen verabschieden.“
Einen Moment wankte wieder einmal Amys Entschluss einfach ohne ein Wort zu
verschwinden. Traurig sah sie ihren Bruder an.
Bevor sie etwas erwidern konnte,
rief der Schaffner: „Bitte, Ms., wenn Sie mitfahren wollen, dann steigen Sie
jetzt ein.“
Wie findet ihr die Story? :)